Berichte

Jedermann – Salzburger Festspiele 2023

Im Juli 2023 war ich bei den Salzburger Festspielen zu Gast. Die Zuschauer erleben eine beklemmende und mahnende Erzählung, welche die Gesellschaft aufrütteln soll.

Entstehung & Handlung

„Hier wird kein zweites Mal gelebt!“

Hugo von Hofmannsthals Jedermann, am 22. August 1920 vor dem prächtigen Salzburger Dom in Szene gesetzt von Max Reinhardt, begründete die Salzburger Festspiele. Seither sind über 700 Vorstellungen dieses Gründungsstücks gespielt worden — ein singulärer Vorgang im deutschsprachigen Theater. Im Verlauf eines ganzen Jahrhunderts zeichnen die Jedermann-Aufführungen sowohl Zeit- wie auch Theatergeschichte nach. Die Ästhetik verschiedener Inszenierungen, unterschiedliche Spielfassungen, Regiezugriffe und Kompositionen der jeweiligen Zeitgenossen sowie die wechselnde Besetzung der ikonischen Rollen machen deutlich, was für eine große und herausfordernde Projektionsfläche der Jedermann allen Künstler/innen bis zum heutigen Tag bietet, und machen sichtbar, wie jede Zeit das Potenzial sowie die Pflicht hat, ihren Jedermann neu zu gestalten, um die Historie aktiv fortzuschreiben. Mit dem Jedermann haben Hofmannsthal und Reinhardt den Festspielen die Frage nach der Endlichkeit menschlichen Strebens mit auf den Weg gegeben und ihr einen zentralen Platz eingeräumt.

Was erleben wir, wenn der Tod in unser Leben tritt und die letzten Dinge verhandelt werden? Wenn wir nicht mehr so tun können, als ob alles ewig weiterginge wie bisher? Im Lauf der Jahrzehnte mutierte die Frage nach dem gesellschaftlichen Umgang mit unserer Endlichkeit immer mehr zur Frage nach dem Schicksal eines — plötzlich mit dem Tod konfrontierten — reichen Mannes. Sein opulentes Ableben im fernen Mittelalter hatte nicht mehr viel mit uns zu tun. Unsere Gesellschaft wollte scheinbar nicht jedes Jahr daran erinnert werden, dass wir auch in einer medizin-technologisch hoch entwickelten Gegenwart noch sterben müssen.

Nach fast 100 Jahren beherrschte dann zum ersten Mal ein unverkennbar zeitgenössischer Alpha-Mann den Domplatz noch im Sterben mit aller Macht, bevor ein gänzlich seiner eigenen Gefühlswelt verpflichteter, virtuoser neuer Jedermann im unerbittlichen Tod seinen Meister fand. Doch immer deutlicher sehen wir uns hier und heute mit der Frage konfrontiert, was wir erleben werden, wenn der Tod in unser aller Leben tritt, weil wir uns weiterhin mit eigener Hand unserer Lebensgrundlagen berauben und die ganze Menschheit kollektiv mit dem Tod bedrohen. Weil wir immer noch Kriege führen, Ungerechtigkeiten perpetuieren, einander und unseren Planeten ausplündern. Wie lange wollen wir noch so tun, als ob das ewig so weitergehen könnte?

Und als ob es ewig so weitergehen müsste, stehe ich mit meinen Kolleg*innen und Verbündeten, die Musik, Kostüme, Bühnenbild, Dramaturgie, Choreografie und Licht verantworten, noch einmal vor der faszinierenden, schwierigen und ungewöhnlichen Aufgabe, den Jedermann — zum dritten Mal — mit einem neuen Ensemble wunderbarer Schauspieler* innen zu entwerfen, den Text aus einem neuen Blickwinkel zum Klingen zu bringen und zu einem gemeinsamen, erneut überzeugenden Erlebnis zu machen. Wir wollen diese wunderbare Aufgabe dazu nützen, um zu untersuchen, was passiert, wenn der Tod alles und alle gefährdet: die Liebe, die Familie, die Freundschaft, die Nachbarschaft, die Gesellschaft, die Menschheit. Wenn die Welt verdorrt und die Menschen verarmen, weil wir nicht teilen wollen. Wenn das Geld am Ende nichts mehr wert ist und man nichts mehr dafür kaufen kann. Wenn der Teufel aus der Kirche kommt und uns Rettung im Jenseits nicht mehr trösten kann? Wir sind fest entschlossen, den Glauben an die Menschen trotz alldem nicht verlieren zu müssen, weil Empathie, Barmherzigkeit und Hoffnung in allen Zeiten möglich sind.

Michael Sturminger

Besetzung & Kreativteam

Tod / Buhlschaft – Valerie Pachner

Jedermann – Michael Maertens

Jedermanns Mutter – Nicole Heesters

Jedermanns guter Gesell – Helmfried von Lüttichau 

Ein armer Nachbar – Emanuel Fellmer 

 Ein Schuldknecht / Mammon – Mirco Kreibich

Des Schuldknechts Weib / Werke – Birte Schnöink 

Dicker Vetter – Bruno Cathomas 

Dünner Vetter – Fridolin Sandmeyer 

Spielansagerin / Glaube – Anja Plaschg 

Teufel / Gott – Sarah Viktoria Frick 

Tischgesellschaft / Werke / Nachbar*innen:

Theresa Dlouhy, Paula Jeckstadt, Colin Johner, Raphael Nicholas, Katharina Rose, Ellen Krogh Skjølstrup, Therese Troyer 

Regie – Michael Sturminger

Bühne und Kostüme – Renate Martin, Andreas Donhauser

Komposition – Wolfgang Mitterer

Musikalische Leitung – Hannes Löschel

Choreografie – Dan Safer

Licht – Urs Schönebaum

Dramaturgie – Alexandra Althoff

Violine – Joanna Lewis

Bratsche – Barbara Erdner

Violoncello – Ana Percevic

Kontrabass – Gernot Haslauer

Gitarre – Philipp Schiepek 

Bassklarinette – Christian Kronreif

Trompete – Lorenz Widauer

Perkussion – Robert Kainar

Keyboard – Hannes Löschel

Titelbild & Szenenfotos | Salzburger Festspiele 2023 © Matthias Horn

Gesamteindruck:

Die heurige Neuinszenierung von Hugo von Hofmannsthals Jedermann bei den Salzburger Festspielen 2023 von Regisseur Michael Sturminger ist modern und zeitgemäß.

„Die Zuschauer erleben eine beklemmende und mahnende Erzählung, welche die Gesellschaft aufrütteln soll.“

Klimaaktivisten sind Teil des Spiels und jeder Störaktion wird auf der Bühne Raum gegeben! Jedermann lebt 2023 in seinem großen Haus voller Reichtum ohne Fenster. Im Gegensatz dazu wissen die anderen Nachbarn nicht wie sie überleben sollen! Und hausen in großer Armut in ihren Erdlöchern, vor Jedermanns Haus.

Der eindringliche Klang unterstreicht die teils mystische Darstellung bestens. Die Choreografien sind an die Szenen angepasst. Das Bühnenbild ist einfach gestaltet, aber die Wirkung auf das Publikum wird nicht verfehlt. Das Kostüm- und Maskenbild ist modern, bunt und trotzdem authentisch gehalten. Das Lichtdesign unterstreicht einen kraftvollen Spannungsbogen.

Tod / Buhlschaft – Valerie Pachner brilliert in ihren Rollen mit einer eindrucksvollen Darstellung, welche auf ganzer Linie begeistert.

Jedermann – Michael Maertens zeigt eine naive Hauptfigur, die mit einem ausdrucksvollen Spiel sich mit den ewig gültigen Lebensfragen auseinander setzt. Und sich ängstlich mit dem Tod konfrontiert sieht.

Jedermanns Mutter – Nicole Heesters spielte ihre Rolle sehr authentisch und glaubwürdig.

Jedermanns guter Gesell – Helmfried von Lüttichau wirkte authentisch in seiner Darbietung.

Ein armer Nachbar – Emanuel Fellmer hat in seinem Spiel mit gelungener Bühnenpräsenz begeistert.

Ein Schuldknecht / Mammon – Mirco Kreibich brillierte mit großer Spielfreude und flottem Tanz.

Des Schuldknechts Weib / Werke – Birte Schnöink verkörperte ihre Figuren stets mit kraftvollem Ausdruck.

Dicker Vetter – Bruno Cathomas & Dünner Vetter – Fridolin Sandmeyer haben mit Spielwitz und gutem Zusammenspiel überzeugt.

Spielansagerin / Glaube – Anja Plaschg das Schauspiel und der Gesang zu Beginn haben Gänsehaut erzeugt.

Teufel / Gott – Sarah Viktoria Frick hat in ihrer zügellosen Darstellung mit energiegeladenem Spiel begeistert.

Tischgesellschaft / Werke / Nachbar*innen: (Theresa Dlouhy, Paula Jeckstadt, Colin Johner, Raphael Nicholas, Katharina Rose, Ellen Krogh Skjølstrup, Therese Troyer) präsentieren ein kraftvolles Zusammenspiel.

Das Publikum war von der Vorstellung sehr begeistert und es gab minutenlangen Applaus. Der Jubel wollte nicht enden.

Jedermann 2023 Bühnenbild |© Bühnen Highlights – Blog (Salzburger Festspiele)

Wichtige Informationen:

Jedermann

Das Spiel vom Sterben des reichen Mannes.

Neuinszenierung

von Hugo von Hofmannsthal (1874-1929)

Fr 21. Juli – Di 29. August 2023

Premiere: 21. Juli, 21.00 Uhr
13 weitere Vorstellungen bis 29. August

Domplatz / bei Schlechtwetter im Großen Festspielhaus

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